... meine Rezensionen

Toter Besuch. Gruselgeschichten [Kindle Edition]

von Karin Reddemann

 

Klappentext / Kurzbeschreibung

Eine unheimliche Begegnung auf dem Friedhof, graueneinflößende Zähne und todbringendes Klopfen … Die Geschichten von Karin Reddemann ziehen den Leser in eine verstörte Welt. Es macht atemlos, sie zu lesen.

 

 

Inhalt und Umsetzung

Da es sich bei der von Frau Reddemann zusammengestellten Anthologie um drei Kurzgeschichten handelt, werde ich drei Mini-Rezensionen verfassen, aus denen ich mir am Schluss ein Gesamturteil bilden werde.

 

Geschichte eins: "Toten Besuch"

Ich hatte es an anderer Stelle bereits einmal erwähnt: es schadet nichts (ganz in Gegenteil), sich seine eigenen Manuskripte einmal selbst laut vorzulesen.

Wenn ich mir den zweiten Satz aus dieser Kurzgeschichte ansehe, so glaube ich nicht, dass Frau Reddemann von diesem Trick schon einmal etwas gehört hat:

"Die Mehrzahl der Gräber ist verschwunden, sie sind Gras gewichen, das über den Toten wächst, deren Namen niemand kennt."

Für meine Ohren klingt das abgehackt und störend - obwohl es inhaltlich nicht falsch ist. Sogar das Abtippen dieses Satzes hat mir Mühe bereitet. Er ist einfach nicht rund - dafür aber immerhin ungewöhnlich.

Am Ende des selben Absatzes verwirrt mich Frau Raddemann erneut: "Aber einige schlafen nicht. Mag sein, nicht mehr." Das klingt sehr schön und fast schon poetisch - nur hat es keinerlei Sinn. Jedenfalls bleibt er mir verborgen. Von der Wortwiederholung zum Satz davor ("Dann weiß ich, dass dort Menschen schlafen, die immer noch wichtig sind.") ganz zu Schweigen. Aber das mag selbstverständlich auch unter "Stilmittel" fallen.

 

Nun, Frau Reddemanns Stil ist zumindest gewöhnungsbedürftig. Aber ich habe mich darauf eingelassen, diese Anthologie zu lesen, und daher ist es nur Recht und Billig, mich auch auf den (für mich) eher ungewöhnlichen Schreibstil einzulassen.

 

Die Protagonistin nimmt den Leser mit auf eine Reise in ihre Überlegungen über Tot, Tote und Wiedergänger. Anschließend geht sie mit ihrem Hund auf "ihrem" Friedhof Gassi und wird promt von einer älteren Dame als Unruhestifterin (zumindest ihr Hund) entlarvt. Und dann ...

 

Tja, dann ... dann gibt es einen Twist. Sogar einen, der gar nicht mal schlecht ist. Und Frau Raddemann schlägt den Bogen sogar zurück auf die Überlegungen, die ihre Protagonistin Eingangs beschäftigt hatten. Aber ... es ist langweilig. Es ist zu abrupt. Es ist zu ... ich weiß gar nicht genau, was es ist. Aber es funktioniert zumindest nicht als Horrorgeschichte. Mit viel Wohlwollen ist es eine sehr kurze Gruselerzählung. Einigen wir uns also darauf. Eine wirklich, wirklich kurze Erzählung. So kurz, dass ich das Gruseln fast vergessen hätte.

Jedoch: je länger ich über diese Geschichte nachdenke, desto rafinierter finde ich sie. Sie hätte ausgebaut werden können. Ein wenig mehr ... Flair, ein bisschen mehr Umgebung. Ein wenig mehr Gefühl ... Frau Reddemann: geben Sie mir als Leser die Gelegenheit, mich in ihre Geschichte einzufinden, ehe Sie sie schon wieder enden lassen.

 

Geschichte zwei: "Tante Traudels Zähne"

Mhm ... ich muss einräumen, ich habe mich erstaunlich schnell an den Stil der Autorin gewöhnt. Mir gefällt der Einstieg in diese Geschichte sogar außerordentlich gut.

"Hätte Gertrud Overkott an diesem für sie selbst prinzipiell ereignislosen Dezemberabend vor dreiunddreissig Jahren nicht aus einer undefinierbaren Laune heraus ihren Haarknoten gelöst, wäre Mechthild nach einem letzten Schluck Milch ins Bett gegangen."

So mag ich das. Der Satz macht mich neugierig.

Die Autorin baut durch Erzählungen in der Familie (die zu verschiedenen Alterstufen der Protagonistin "Mecki" stattfinden) eine stetig wachsende Ahnung bei dem Leser auf, die in der Gewissheit einer Bedrohung mündet.

Trotzdem endet auch diese Erzählung unvermittelt. Frau Reddemann verlangt viel "Kopfarbeit" von ihren Lesern, damit diese Ihr überhaupt folgen können. Vieles entsteht nur dadurch, dass der Leser gezwungen wird, gewollt ausgelassene Szenen selbst zu "füllen".

 

Geschichte drei: "Das Klopfen der Edeltraud Finnisch"

Der erste Satz verrät es, diese Geschichte wird wieder in der ersten Person Singular erzählt: "Beschwören würde ich es nicht, aber ich vermute, dass Edeltraud Finnisch sich am Tag ihrer Beerdigung auf dem Wiltruper Friedhof einen kleinen Spaß mit mir erlaubt hat."

Ich werde es nicht müde zu erwähnen, dass mir die ich-Perspektive am Liebsten ist. Denn sie erlaubt es mir, mich sehr nahe am Geschehen aufzuhalten. Und das könnte sich hier als Glücksgriff erweisen - hält die Autorin ihre Beschreibungen wieder ausgesprochen vage.

Die Protagonistin ist Helena, die besagte Beerdigung als Anlass nimmt, sich an einige Ereignisse ihrer Kindheit zurück zu erinnern.

Auch hier hangelt sich die Autorin also, wie schon in der zweiten Geschichte, an verschiedenen Zeitebenen entlang. Allerdings - und das hat wohl für Verwirrung bei zumindest einem Rezensienten bei Amazon gesorgt - baut die Autorin die Geschichte nicht linear auf. Sie springt. Immer erst ein Stückchen vor, um dann eine Winzigkeit zurück zu "hopsen". Quasi so, wie man es sich bei jemandem vorstellt, der ein Erlebnis erzählt und jedes Mal, wenn ihm etwas Wichtiges einfällt, das er bisher vergessen hat, wieder etwas weiter in seinen Ausführungen ausholt. Ich gebe zu: das ist anstrengend. Aber auch faszinierend. Denn diese Form der Erzählung setzt eine gewisse Planung Seitens der Autorin voraus.

Die Geschichte baut sich auch hier sehr schleichend auf. Man muss auf Kleinigkeiten achten:

(SPOILER]

"Zwei Tage vor dem Tod der jüngeren Schwester Johanssen hätte mein Bolle auch dran glauben sollen. Da hatte die Hexe sich wohl zum ersten Mal im Tackt verirrt. Oder aus Langeweile mit mir ein Spielchen ausprobiert."

(SPOILER ENDE)

Jetzt, da ich gerade die dritte Geschichte von Frau Reddemann lese, fällt es mir zunehmend leichter, mich auf diese Hinweise zu konzentrieren. Ich glaube, ihre Geschichten funktionieren nur dann, wenn man sich die Mühe macht, zwischen den Zeilen zu lesen.

Nun, diese Erzählung bietet keine Überraschung, keinen finalen Twist. Nun, vielleicht ein bisschen. Dennoch ist sie spannend. Finde ich jedenfalls. Aber ich habe ja auch in den letzten drei Stunden "gelernt", mich auf den Stil von Frau Reddemann einzulassen.

 

Handwerkliches und Bemerkenswertes:

Sprachlich sind sich alle drei Geschichten sehr ähnlich.

Fehler in der Orthographie und der Interpunktion sind mir nicht aufgefallen. Was die Grammatik angeht ... die kann man durchaus teilweise als sehr krude, oder zumindest ungewöhnlich, bezeichnen. Allerdings bin ich inzwischen felsenfest davon überzeugt, dass das so gewollt ist.

Zudem philosophiert Frau Reddemann ganz gern. Aber wer macht das nicht? Es sei ihr also gegönnt.

Dann möchte ich noch erwähnen, dass sie eine kuriose Vorliebe für gelbe Haustiere hat. Sollte ich noch einmal eine Geschichte von der Autorin lesen, werde ich darauf achten, ob es sich dabei um eine Art "Markenzeichen" handelt.

 

Wo die Autorin in etwa einzuordnen wäre:

Einer der Rezensienten auf Amazon hatte den Vergleich zu Stephen King gezogen. Ich fürchte da werden Birnen mit Äpfeln verglichen ... oder um eine bessere Allegorie zu wählen: Birnen mit Nashi (Apfel-Birnen). Mr. King hat bereits über vierzig Jahre Schreiberfahrung - die hat Frau Reddemann noch nicht. Aber sie ist verdammt nahe an einem ähnlichen Ergebnis dran!

Frau Reddemann, da Sie Mr. King in ihrer Anthologie zitierten, gehe ich davon aus, dass Sie diesen Autoren lesen und auch als Vorbild gewählt haben - nehmen Sie sich doch ein Beispiel daran, dass (ganz besonders) Mr. King ein Meister darin ist, so ziemlich alles zu beschreiben, was es zu beschreiben gibt. Was ich sagen will: Auch wenn - gerade in Kurzgeschichten - weniger mehr ist, geben Sie doch bitte Ihren Geschichten das Minimum an Beschreibungen und "Nähe", die sie bräuchten, um im wahrsten Sinne des Wortes mitreißend zu werden.

 

Zusatzbemerkung:

Wenn ich ehrlich bin, hatte ich nach den ersten drei Seiten dieser Anthologie fest damit gerechnet, dass diese Rezension in einem Veriss enden würde. Jedoch wurde ich eines Besseren belehrt - was aber auch ganz sicher damit zusammenhängt, dass ich mich aufgrund einer möglichst begründeten(!) Beurteilung lange und ausgiebig mit den Texten beschäftigt habe.

Das können Sie allerdings nicht von jedem Leser erwarten, Frau Reddemann. Ich gehe davon aus, dass genau aus diesem Grund viele negativ-Rezensionen zu "Toter Besuch" zu finden sind. Sie neigen dazu, Ihren Lesern einiges abzuverlangen.

 

Abschlussbemerkung:

Wieso ausgerechnet Odonaten Nymphen das Titelbild schmücken mussten, ist mir schleierhaft. Die abgebildeten, possierlichen Tierchen stehen kurz davor, die Metamorphose zu aldulten Libellen zu vollenden - und haben mit dem Thema Tod also absolut nichts zu tun. Selbst als "Wiedergänger" taugen sie wenig. Da wären einige Spezies der Scarabaeidae (Blatthornkäfer) oder Cicadidae (Singzikaden) besser geeignet gewesen.

Überhaupt hätte ich persönlich ein weniger reißerisches Cover gewählt - es passt schlichtweg nicht. Und es zieht zudem Leser an, die auf sehr deutliche Darstellungen des Horrors hoffen, während Freunde der eher fordernden Erzählungen eventuell sogar abgeschreckt werden.

 

Fazit

Frau Reddemanns Geschichten bieten keinen schnellen und plakativen Thrill. Ich glaube auch nicht, dass sie das mit ihren Erzählungen beabsichtigt. Es sind "leise" (mitunter sehr "leise") Geschichten, die hohe Aufmerksamkeit erfordern und zudem erst im Nachhinein wirken  - wenn man sich denn darauf einlässt.