scripted reality

oder: der Niedergang der TV-Kultur

oder: ich schaffe meinen Fernseher ab und gucke nur noch Internet ...

Ich weiß, ich müsste mich darüber nicht auslassen. Denn ich bin mir durchaus im Klaren darüber, dass das was da im TV zur Zeit so abgeht, als „scripted reality“ so rein kein gar nichts mit dem zu tun hat, was (so hoffe ich jedenfalls inständig) in der „unscripted“, sprich realen Realität, so vor sich geht.

 

 

 

Dennoch: ich habe das dringende Bedürfnis es loszuwerden:

 

Was zur Hölle denken die sich dabei?

Neulich Abends, ich denk mir nichts böses, zappe so durch die Kanäle (man hat ja genug davon) und dann... dann bleibe ich an etwas hängen, das einen hochgradig beängstigenden Effekt auf mich hatte. Kennen Sie den Spruch: „es ist wie ein Unfall – aber man kann einfach nicht wegschauen?“

So ist es mir ergangen.

Ich hatte gedacht, mit meinen inzwischen ja nun fast Mitte Dreißig wäre ich durch nichts mehr zu erschüttern. Also zumindest was die Auswüchse der seichten TV-Unterhaltung angeht. Aber siehe da! Es ging doch!

 

Was hatte ich gesehen?

Was mussten meine vor Schreck erweiterten Augen betrachten?

 

Auf Sat1/RTLII/Vox-Was-weiß-ich-die-sind-doch-eh-alle-gleich rollte eine junge Frau in einem zebragestreiften, hautengen, kniekurzen Stretchkleidchen über den Bildschirm, hielt zielgenau auf nett dekorierte Häppchen zu und presste alles wild durcheinander in ihre Kauluke. Die Häppchen gehörten zu einer Veranstaltung geschlossener Art, was die dralle Dame allerdings eher wenig bis gar nicht interessierte. Warum auch? Gibt ja schließlich Futter umsonst. Begleitet wurde die Zebra-Getarnte im Übrigen von ihrer („reality-gescripteten“?) Tante, die – wie es sich für gute Tanten gehört – immer artig darauf hingewiesen hat, dass es eventuell nicht gestattet sein könnte (auch wenn ihre Wortwahl eine andere war), sich über die Leckereien her zu machen.

Als sie dann, wie zu erwarten, hinauskomplimentiert worden waren, hatte die Zebrafrau einen Müllcontainer im Auge, in dem gerade abgelaufene Lebensmittel entsorgt wurden. Es kam also wie es kommen musste: die Adipöse schnappte sich ihre Tante als Räuberleiter und langte im Container ordentlich zu.

 

*seufz*

 

Ich möchte mich nicht darüber auslassen, dass diese junge Frau übergewichtig ist. Um Himmels willen! Das juckt mich nicht die Bohne. Wer hat schon Idealmaße? Was mich allerdings an dieser ganzen Farce so maßlos aufgeregt hat (und immerhin denke ich noch immer daran!) ist die Frage nach dem Warum?

 

Warum stellt Sat1/RTLII/Vox-sind-doch-eh-alle-gleich eine Frau auf diese erniedrigende Art und Weise dar? (Selbstverständlich bezog sie HarzIV. Aber das nur der Vollständigkeit halber – gedacht haben wir uns es doch ohnehin schon alle ...) Wieso glaubt ein Produzent, es wäre in Ordnung jemanden derartig in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen? Wieso hat der Sender es zugelassen, dass eine Übergewichtige dabei gefilmt wird, wie sie Abfälle aus einem Container fischt, ihre Wurstfinger in einer Torte versenkt und dass daran anschließend ihre Mundwinkel mit Sahne verklebt sind? Warum werden Klischees in dieser menschenverachtenden Form, im wahrsten Sinne des Wortes, angefüttert?

 

Ich mache mir selbstverständlich keine Illusionen darüber, was die Zebra-Getarnte angeht:

Mir ist bewusst, dass sie dafür gecastet und auch bezahlt wurde, sich in die Mülltonne zu wuchten. Und – jedenfalls hoffe ich es – sie wird ihre Reize im wahren Leben wohl auch nicht derartig unvorteilhaft zur Geltung bringen.

 

Ich frage mich dennoch: wieso?

 

Wieso hat sie bei dieser Geschmacklosigkeit mitgemacht?

Kann es so viel Geld überhaupt geben, dass man sich vor der Nation derartig selbst erniedrigt, und – lassen wir es nicht außer Acht – eine ganze Reihe von Menschen mit in die Lächerlichkeit reißt?

 

Um es noch einmal deutlich zu sagen:

Ich habe nichts gegen Übergewichtige.

Ich habe nichts gegen ALGII-Bezieher.

Ich habe nichts dagegen, wenn man abgelaufene Ware noch weiter verwertet (es gibt inzwischen eine Subkultur, die das professionell betreibt).

 

Was ich aber nicht verstehen kann:

 

Wieso wird so ein *** produziert?

Wer bitte will das sehen?
(Abgesehen von der „ooooh, Unfall, kann nicht weggucken“ - Fraktion)

 

Was soll das?

 

Ist es tatsächlich so, dass der TV-Seher das bekommt, was er verdient?

 

 

Dann aber mal: armes Deutschland.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Fabio (Dienstag, 29 Januar 2013 11:29)

    Hoi

    Wieso das produziert wird? Weil es angeschaut wird! Es ist erwiesen, dass viele Zuschauer dies gar nicht als fiktiv erkennen und es für real halten. Demzufolge vergleichen Zuschauer ihr eigenes Leben mit dem (fiktiven) Leben und finden es (hoffentlich) bei weitem besser. Das gibt ihnen ein gutes Gefühl. Der Mensch denkt in Schubladen (es geht einfacher) und da passt eine übergewichtige Hartz IV Empfängerin gut ins Bild. (Ich kann zwar dies nicht genau beurteilen, da ich als Schweizer nicht viel Ahnung von Hartz IV hab). Aber ich denke mal, viele finden das belustigend, vor allem wenn sie sich noch an einem Müllcontainer bedient. Ich meine im 18. und 19. Jahrhundert wurden in Zoo-ähnlichen Institutionen auch Menschen ausgestellt, welche nicht gerade der Norm entsprechen.

    Gruss aus Chur

    (bin von Hattrick auf diese Seite gelangt, Dukes United F.C.(470031))

  • #2

    Cassandra (Freitag, 08 Februar 2013 22:35)

    Nun, Deine Frage nach dem "Warum" lässt meiner Ansicht nach so beantworten: die Nachfrage bestimmt das Angebot.
    Die privaten Sender wollen das, was letztendlich alle wollen: Geld machen. Von daher überlegt man sich dort sehr genau, welche Sendungen für den Konsumenten von Interesse sein könnten. Und da am laufenden Band Derartiges über den Bildschirm läuft, lässt dies nur den einen Schluss zu: der Kunde will das so.
    Auch stellt sich für mich nicht mehr die Frage, ob sich die Frau in der Tonne nun erniedrigt hat oder nicht. Sie gibt dem Volk, was das Volk will und im Grunde ihrer Herzen sind die Menschen diesem Weib dankbar - auch wenn sie es nicht zugeben würden.
    Im Übrigen sollten wir froh sein, dass bisher nur Menschen zu sehen sind, die aus Mülltonnen essen. Vermutlich wird es in ein paar Jahren wesentlich härter zur Sache gehen. Dann bekommen wir wahrscheinlich scripted reality Hinrichtungen zu sehen bzw. dürfen live mit erleben, wie Killer X beim Mord an Opfer Y vorgeht ...

  • #3

    uuruk (Sonntag, 24 Februar 2013 21:47)

    die Masse der Menschen findet so was amüsant. Eine besondere Art der Schadenfreude, die daraus resultiert, dass man sich selber durch so was erhöhen kann. Warum ist wohl das Dschungelcamp das erfolgreichste TV-Format weltweit?
    Die meisten Menschen sind sich gar nicht bewusst, was die Einführung des Privatfernsehen für Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat. Hier wird nicht gezeigt, was gut, gehaltvoll oder irgendwie anders sinnvoll ist, sondern nur dass was gefällt. Aber Drogen geben sie nicht frei. Wie scheinheilig. Dabei könnte man damit genauso Profit machen.
    Bin ebenfalls HTler und finde deine Seite sehr schön.