Fantasy-Klischées

Eine Auseinandersetzung mit den gängigsten Grundregeln in dem Genre der Fantasy - bewusst provokant und überspitzt dargestellt

Aus der Sicht von Marina Clemmensen

der „schwächliche Held“
Wir kennen ihn alle: den Helden, der zu Beginn der Geschichte als uncharismatischer, ängstlicher Schwächling daherkommt, um im Laufe des Buches über sich hinauszuwachsen und die ihm gestellte Aufgabe zu lösen.
Beispiele, die mir dazu einfallen: Bastian in der Unendlichen Geschichte (Michael Ende), Frodo aus Herr der Ringe (Tolkien), Rand al'Thor aus dem Rad der Zeit (Robert Jordan)... das ließe sich endlos lange fortführen.

Warum funktioniert das obwohl es immer wieder das gleiche Schema ist? Identifizieren wir uns mit dem schwachen Helden? Ist er uns deshalb sympathisch? „Wachsen“ wir mit ihm? Sehr wahrscheinlich ist es so. Mir persönlich würde es schwer fallen mich mit einem über die Maßen erfolgreichen, unglaublich stattlichen, reichen, hoch intelligenten Helden im hohen Alter zu identifizieren.
Wohlmöglich wäre es auch langweilig, einem überlegenen Helden über hunderte Seiten lang zuzusehen, wie er ohne Mühe sämtliche Herausforderungen zur Seite wischt?

(Superman ist schon schwer zu ertragen - stellen Sie ihn sich vor ohne dass es inflationär Kryptonit gehagelt hat.)

 


der als Kind versteckte Held
Dieser Punkt fällt irgendwie mit in den oben genannten mit hinein. Als Kind wird der Held vor seinem übermächtigen Widersacher versteckt und wächst unerkannt zum jungen Mann heran. Manchmal darfs auch eine junge Frau sein. Just im „richtigen“ Moment fliegt dann die Tarnung auf und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Prominentestes Beispiel dafür dürfte ja wohl Harry Potter (Joanne K. Rowling) sein. Sofern ich mich richtig erinnere (ist halt zehn Jahre her) passierte das auch mit Rand Al'Thor (Rad der Zeit, Robert Jordan).


die Reise
Ist Ihnen eigentlich auch schon mal übel aufgestoßen, dass sich die Helden in „klassischen“ Fantasy-Geschichten ihre Hacken ablaufen? Da latscht ein kleiner Mann aus seinem geliebten, grünen, fruchtbaren, sozial ausgewogenen Auenland ins düstere, karge, ungemütliche Mordor, um einen mächtigen Gegenstand zu zerstören. (na? Wer wars?). Da verdirbt sich ein kleiner Junge die Füße auf seinem Weg von der Ostküste zur Westküste der „Region“, um einen Talisman aufzutreiben (Jack Sawyer, der Talisman, King und Straub). Ein junger, grünhäutiger Junge läuft, fliegt und schleppt sich durch ein sterbendes Phantàsien, um ein Heilmittel für seine kindliche Kaiserin zu finden (Atrèju, die Unendliche Geschichte, Michael Ende)
Jeder dieser kilometerschrubbenden Helden hat einen guten Grund, diese Strapazen auf sich zu nehmen. Dieser Grund hat meist sogar etwas damit zu tun, seine ihm vertraute Welt vor dem ultimativen Bösen zu retten.

Aber der eigentliche Grund dürfte ja wohl klar sein: der Autor schreibt an einem Reiseführer für den Leser. Mordor hätte der Leser nie gesehen, die Region hätte er nie kennen gelernt, das Südliche Orakel nie reden gehört, wenn er nicht mit dem Helden mitgereist wäre.
Michael Ende erwähnt diesen Selbstzweck und nutzt ihn sogar für sein Buch: Atrèju hatte durch Phantàsien irren müssen, weil sonst Bastian niemals in die Geschichte hätte gelangen können. Die Kindliche Kaiserin kannte ihr Heilmittel von Anfang an – war aber aus diesem Grund „gezwungen“ es vor Atrèju zu verbergen.


das Böse
Das Böse ist vor allem eines: böse. Und zwar so richtig. Fies, gemein, hinterhältig. Manchmal sogar sauenhäßlich. Extremismus in der reinsten Form – schwarz-weiß-Malerei sozusagen. Und dieses Konzept gibt’s seit einer Ewigkeit. Scheint sich einfach nicht abzunutzen. Wenn ich mir mein Bücherregal ansehe, fallen mir meine alten Märchenschinken ins Auge.
Fange ich mal mit Schneewitchen an: die Stiefmutter ist eine abgrundtief böse Frau. Sie will ihr Stiefkind vom Jäger umbringen lassen und anschließend ihre Organe verspeisen. Wie es weiter geht, kennen sicher die meisten. Und Schneewitchen? Die ist einfach nur lieb. Im Disney-Klassiker helfen ihr sogar die Waldtiere beim Hausputz – so lieblich ist sie – im Märchen wird sie zumindest nicht von den Raubtieren gerissen während sie durch den Wald irrt. Und auch wenn die Stiefmutter nicht per sé in das Bild eines hässlichen Gegenspielers passt (sonst würde die Geschichte wohl auch nicht funktionieren ^^), so verkleidet sie sich doch als häßliches altes Weib, um ihre Stieftochter am Ende zu vergiften.
Über Sauron muss ich nicht viel sagen: er ist böse. Punkt. Immerhin bedroht er ganz Mittelerde. Und so wirklich hübsch kann man ihn auch nicht nennen. Ähnliches gilt auch für die Orks und die Uruk-hai.
Das Nichts ist nicht körperlich. Aber in seiner Boshaftigkeit kaum zu überbieten, da bis auf ein Sandkorn nichts von Phantàsien übrig bleibt. (Wobei anzumerken sei, dass das Nichts keinen eigenen Willen hat – und so betrachtet nicht wirklich „böse“ sein kann. Dennoch bleibt es ein übermächtiger, schrecklicher Gegner.)


die Waffen...
(... und anderes magisches Zeug.)
Keine Fantasy ohne eine magische Waffe.
Die prominenteste unter ihnen ist und bleibt Exalibur. Es hilft bei der Wahl des rechtmäßigen Königs von England. Steckt in einem Stein fest und lässt sich nur von dem „richtigen“ raus ziehen. Gutes Konzept. Und damals, als die Sage um Artus entstand vielleicht sogar innovativ. Vielleicht.
Michael Ende greift diese Idee mit dem Schwert Sikánda wieder auf.

Tolkien verwendet sein Arsenal an magischen Gegenständen sogar inflationär: Die Ringe der Macht (von denen gibt’s gleich zwanzig Stück!), Das Horn von Gondor, die Palantíri, Glamdring, Narsil, Stich... und das ist nur ein Bruchteil von dem, was in Mittelerde zu finden ist.

Therry Pratchett hatte es in „Wachen Wachen“ kaum treffender beschreiben können (frei zitiert – ich habe das Buch nicht mehr): „[...] dieses Schwert war besonders, weil es überhaupt keine magischen Kräfte hatte [...]“

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Cassandra (Freitag, 08 Februar 2013 21:58)

    Ach, dann will ich doch mal kommentieren ^^ :

    Ich gebe Dir recht, was Deine Beschreibung hinsichtlich der Natur des "schwächlichen Helden" angeht. Doch ob ihn seine - zumindest anfängliche - Hilflosigkeit dem Leser nun unbedingt sympathischer macht? Ich muss in dem Zusammenhang an die Geschichte vom hässlichen Entlein denken. Am Schluss gibt´s ein Happy-End und das poplige kleine Ding entpuppt sich als stolzer Schwan ... Pffff - naja, wer´s mag. Viele Leser mögen sich mit einem unheldenhaften Helden indentifizieren können - allerdings eben nur so lange, wie er schwerfällig durch die Handlung dümpelt. In dem Moment, wenn er sich plötzlich zum "echten" Helden mausert und über sich hinaus wächst, dürfte es Sense sein mit der Smypathie. Zumindest war´s beim mir immer so.
    Und noch ganz kurz zu Frodo: der Knabe ist für mich so etwas von überhaupt kein Held. Wenn im Zusammenhang mit den Hobbits von Helden gesprochen werden kann, würde ich in erster Linie an Bilbo und dann an Sam denken. Die beiden waren und sind für mich Helden, eben gerade deshalb, weil sie aus der Not eine Tugend machen und es oftmals gerade ihre Schwächen sind, die sie im entscheidenden Moment stark sein lassen.

    Der als Kind versteckte Held - nur so viel dazu: ich kann Harry Potter nicht leiden und ich gebe zu, am Ende (wider besseren Wissen) unseren Tommy angefeuert zu haben ... ^^

    Die Reise - klar, wäre es witzlos, wenn alle wesentlichen und für die Handlung relevanten Elemente vor der Haustüre des Protagonisten zu finden sind.
    Nun, wie Du bereits angemerkt hast, hat Michael Ende die Sache auf den Punkt gebracht: die (wie auch immer geartete Reise) ist das Bindeglied zwischen dem Leser und der Geschichte.

    Das Böse - nun, "das Böse" ist idR entweder urhässlich und gewaltätig, extrem gutaussehend und gewaltätig oder extrem gutaussehend, überaus intelligent UND gewaltätig ...
    Ich vermisse den Bösewicht, der aussieht wie Otto Normalverbraucher, durchschnittlich gewitzt ist, keine überragenden Fähigkeiten besitzt und der eine gewisse Tendenz zum Bösen hat, ohne jedoch der Dunkelheit in sich vollkommen verfallen zu sein. Der nicht böse ist um des Bösen willen und der vorallem einen differenzierten Charakter besitzt, der nicht sofort in die nächst beste Schublade gestopft werden kann.
    Dass mir auf Anhieb kein Beispiel einfällt, ist bezeichnend für den akuten Mangel, der offensichtlich in der literarischen Welt hinsichtlich solcher Persönlichkeiten herrscht.

    Waffen - ich vermisse hier etwas ganz Wesentliches: die fantastischen Alltagsgegenstände, die eine langjährige und gefahrvolle Wanderschaft erst halbwegs angenehm machen. Sei es beispielsweise ein Geldbeutel der nie leer wird ("Die Prinzessin mit der langen Nase"), der Immervolle Kelch ("Magic: The Gathering"), ein Tarnumhang ("Harry Potter" und div.) oder eine Tasche, in der Platz für so gut wie alles ist ("Mary Poppins", "Harry Potter" sowie div. Märchen).
    Diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen, aber es dürfte bereits klar sein, worauf ich hinaus will. In den wenigsten Romanen werden den Protagonisten Gegenstände dieser Art zur Verfügung gestellt (von irgendwelchem unsichtbarmachenden Firlefanz mal abgesehen). Weshalb? Weil es die Abenteuer langweiliger machen würde? Das wage ich zu bezweifeln, denn die Gefahren werden auch mit einem immervollen Kelch nicht weniger und eine angreifende Hore wilder Wer-auch-immer wird mit Sicherheit nicht von einem nie voll werdenden Beutel abgeschreckt.
    Von daher plädiere ich an dieser Stelle für den Einsatz diverser hilfreicher Gegenstände in Form einer literarischen Umsetzung. Aus Computer-Spielen u.Ä. lässt sich das Zeug mittlerweile nicht mehr wegdenken ...