"Mut zur Lücke"

Sprach der Lehm ...

... während er Risse bildete

 

Er hatte es mir entgegengeschrien: "häng mich auf! Ich bin dafür gemacht, an deiner Wand zu hängen! Mach schon! MACH!"

Also machte ich.

Ich bastelte ihm ein behagliches Zuhause, verzierte es in passenden Farben, fixierte ihn drauf, vergewisserte mich davon, dass Holzkleber zu diesem Zwecke ausreicht und schenkte ihm heute einen Platz im Wohnzimmer. Da ich ihm LEDs spendierte, strahlt er mich im Moment zum Dank buchstäblich an.

 

Er brüllte mir seinen Wunsch bereits seit Wochen entgegen.

Pflanzte mir eine irrsinnige Idee ins Hirn. Dort reifte sie, nahm Formen an.

Zwang mir Vorbereitungen auf. Skizzen, Zeichnungen, Überlegungen führten zu einem Gerüst aus Papier und Draht. Dieses Mal würde ich etwas schaffen, das all das, was ich zuvor gemacht hatte, überschatten sollte.

Das Vorgehen war das altbekannte: Zeitung, Tonplatten, geduldiges Modellieren und Verstreichen. Die erste Neuerung? Die Skulptur sollte aus drei Teilen bestehen. Die zweite? Sie sollte sich zu weiten Teilen von der Unterlage lösen. Sich aufbäumen. Sie zurückweisen, sie überflüssig werden lassen.

Also umwickelte ich eines Abends geduldig dünne Streifen zerrissener Zeitung, wand einen Blumendraht um sie herum und brachte alles in Form. Nun gut. "Alles" ist übertrieben. Die Arme habe ich vorbereitet. Der Kopf harrt in dem meinen der Dinge, die da kommen werden. Wartet auf die passende Gelegenheit. Fiebert dem entgegen, was mit den Armen weiter geschehen wird.

 

Denn es ist bereits etwas geschehen. Etwas tragisches. Das erste Mal, seit ich feuchten Lehm zwischen meinen Fingerspitzen knetete, stellte sich das Ergebnis als widerspenstig heraus. Sicher, lieber Leser dieser Seite, Sie haben etwas ähnliches bereits gesehen. Natürlich passiert es. Es passiert sogar den Profis durchschnittlich jedes zehnte Mal: der Ton reißt. Er weigert sich, seine Form zu behalten. Es widerstrebt ihm, das zu tun, was von ihm erwartet wird. Wie ein sich windendes Wesen schüttelt er seine Form ab, wird zu etwas Neuem, etwas ... Anderem.

 

Traurig ist, dass die Hände Trocknungsrisse bekommen haben. Die linke Hand hat es so schlimm erwischt, dass der Handballen zerborsten ist. Schwer zu sagen, ob ich ihn kitten kann.

Ebenso traurig - aber auch ärgerlich - dass eine der verzierenden Tentakel (ein ständig wiederkehrendes Stilelement meiner Arbeiten) abgebrochen ist. Auf eine Art, die nicht dafür spricht, dass sie aus purer Dehydration ihren Lebenswillen eingebüßt hat. Offiziell möchte ich meine Vermutung nicht laut aussprechen, dass ein ungeschickter Artgenosse seine Finger - oder unachtsame Hüfte - im Spiel hatte. Aber ich spreche es nicht laut aus - dies hier ist ein Medium, welches auf das geschriebene Wort setzt.

Auch hier steht noch im Raum, wie ich den entstandenen Schaden reparieren kann. Falls er zu reparieren ist.

 

Ich werde mein Glück mit einer sogenannten Schlämmung versuchen - mit dem Risiko verbunden, dass die Hände ihre Form in Gänze verlieren werden.

Diese Gefahr besteht ohnehin: Ton zieht sich zusammen, sobald er Wasser verliert - Metall hingegen dehnt sich bei Hitze aus. Hoffen wir, dass sich der Ton als so störrisch erweist, wie er es bereits einmal demonstriert hat. Als er sich mir und meinem Willen widersetzte.

 

 

Text: 11.12.2016

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